top of page

Haiangriffe 2020 - 2024: eine Bilanz

  • Autorenbild: C. B.
    C. B.
  • 17. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Seit Steven Spielbergs "Der Weiße Hai" im Kino sein Unwesen trieb, haben viele beim Baden ein mulmiges Gefühl. Alljährliche Horrormeldungen aus Australien und den USA, aber auch aus bei Deutschen beliebten Urlaubsländern wie Ägypten tun ihr Übriges. Aber ist die Angst wirklich berechtigt? Wie wahrscheinlich ist es, durch eine Haiattacke verletzt oder sogar getötet zu werden?

Eine Bilanz der Haiangriffe der letzten fünf Jahre. (Datengrundlage s. Artikelende*)

Weißer Hai (Foto: B. Dupont)
Weißer Hai (Foto: B. Dupont)

KURZFASSUNG FÜR EILIGE:

  • Weltweit fast 400 Haiangriffe in den letzten 5 Jahren (2020 - 2024).

  • 59 davon tödlich.

  • Weißer, Tiger- und Bullenhai am häufigsten beteiligt.

  • Beim Weißen Hai sind die Überlebenschancen am geringsten.

  • Am häufigsten wurden Surfer attackiert.

  • Auch beim Waten im Flachwasser kam es zu Angriffen.

  • Die meisten Haiunfälle geschahen in den USA, vor allem in Florida.

  • Die meisten Todesopfer gab es in Australien.

  • Pro Jahr weltweit 12 Tote durch Haie, aber über 200.000 durch Ertrinken  


In fünf Jahren 397 Haiattacken, davon 59 tödlich

In den Jahren 2020 bis 2024 wurden insgesamt 397 Haiangriffe vom GSAF (Erklärung s. Artikelende*) offiziell bestätigt. 59 davon endeten tödlich (Abbildung 1). Statistisch gesehen beträgt also bei einem Angriff die Überlebenschance immer noch 7:1 für den Menschen. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Wie so eine Haiattacke ausgeht, hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere der Größe und Art des Hais, aber auch dem Grund des Angriffs. Mal ist es einfach Neugier, mal will er sich oder sein Territorium verteidigen und im wohl schlimmsten Fall hat er Hunger. 

Abbildung 1: Haiattacken weltweit 2020 - 2024
Abbildung 1: Haiattacken weltweit 2020 - 2024

Haiart oft ungeklärt

In der Mehrzahl der 397 Haiattacken zwischen 2020 und 2024 konnte die Art des Hais leider nicht festgestellt werden. Doch in immerhin 164 Fällen konnten Experten den Angreifer bestimmen. Entweder durch Aussagen sachkundiger Zeugen oder anhand der Verletzungen der Opfer. Unter diesen 164 Vorfällen waren 34 mit tödlichem Ausgang. Bei 34 Todesopfern wissen wir also genau, welche Haiart sie getötet hat.


21 Haiarten an den Attacken beteiligt - doch drei stechen heraus

Weltweit leben mehr als 500 Haiarten! Dennoch gingen die Angriffe in unserem Fünfjahreszeitraum auf das Konto von gerade einmal 21 Spezies. Und unter diesen sind es wiederum drei Arten, die weit herausstechen: der Weiße Hai (Carcharodon carcharias), der Tigerhai (Galeocerdo cuvier) und der Bullenhai (Carcharhinus leucas).

Bullenhai (Foto: Pterantula)
Bullenhai (Foto: Pterantula)

Von den 164 Unfällen, bei denen die Art bekannt ist, gingen 109 auf das Konto dieser drei (Tabelle 1). Die übrigen Attacken verteilten sich auf andere Haie wie den in Florida häufigen Schwarzspitzenhai (Carcharhinus leucas), den auch in Ägypten regelmäßig anzutreffenden Zitronenhai (Negaprion brevirostris) oder diverse Riffhaie.

 

Tabelle 1: Haiattacken 2020 - 2024 nach Haiart
Tabelle 1: Haiattacken 2020 - 2024 nach Haiart

Tigerhai (Foto: K. M. Krister)
Tigerhai (Foto: K. M. Krister)

Alle Todesopfer durch nur drei Arten

Noch deutlicher wird das Bild, wenn man nur die tödlichen Haiangriffe betrachtet (Tabelle 1). Hier tauchen ausschließlich die "berüchtigten Drei" - allen voran der Große Weiße - auf. Kein einziger Angriff einer anderen Haiart war tödlich. Zumindest in den untersuchten Fällen. Natürlich kommt es gelegentlich auch zu Todesfällen durch andere Spezies, was in unserem Untersuchungszeitraum aber nicht nachgewiesen werden konnte. Die Todesfälle in Ägypten Ende der 2010er-Jahre durch Weißspitzenhochseehaie (Carcharhinus longimanus) sind vielen noch in Erinnerung. Und auch der Mako (Isurus oxyrinchus) und der Blauhai (Carcharhinus glaucus) sind in der Vergangenheit häufiger durch tödliche Angriffe in Erscheinung getreten. 

Mako (Foto: P. Doll)
Mako (Foto: P. Doll)

Die Zahlen richtig verstehen

Natürlich bedeuten diese Zahlen nicht zwangsläufig, dass die am häufigsten beteiligten Haie auch die angriffslustigsten sind. So ist der bis zu dreieinhalb Meter lange Bullenhai dafür bekannt, sich im Bereich von Ufern und Flussmündungen aufzuhalten und sogar hunderte Kilometer flussaufwärts zu schwimmen. Dadurch kommt es natürlich viel häufiger zu Begegnungen mit Menschen und damit zur Gefahr eines Angriffs. Andersherum gilt der bis zu mehr als vier Meter große Weißspitzenhochseehai als besonders gefährlich. Dennoch kommt es kaum zu Unfällen mit ihm, da er als typischer Hochseefisch Menschen nur selten begegnet.

Weißspitzenhochseehai (Foto: Polygonia)
Weißspitzenhochseehai (Foto: Polygonia)

Die Überlebenschancen hängen stark von der Haiart ab

Und noch etwas geben die Zahlen aus Tabelle 1 her: Die Gefahr bei einem Haiangriff zu sterben hängt stark von der Spezies ab. Im Untersuchungszeitraum war fast jede zweite Attacke des Weißen Hais tödlich. Beim Tigerhai immerhin noch jeden dritte, beim Bullenhai schon nur noch jede zehnte. Angriffe anderer Haiarten waren in diesen fünf Jahren nie tödlich. 


Angriffe bei allen Wasseraktivitäten

Dabei ereigneten sich die Unfälle bei allen erdenklichen Aktivitäten. Von Schwimmen, Schnorcheln und Tauchen bis zu Surfen und SUP. Etwa 45 der dokumentierten 397 Unfälle ereigneten sich sogar beim Waten oder Sitzen, also im flachen Wasser! Das ist immerhin mehr als jede zehnte Haiattacke.  


Surfer am stärksten betroffen

Begrenzen wir den Blick auf die Todesfälle. Mit je 17 Opfern ereigneten sich die weitaus meisten tödlichen Haiangriffe beim Surfen/Bodyboarding sowie beim Schwimmen (Tabelle 2). Dabei muss man bedenken, dass weltweit wesentlich mehr Menschen schwimmen als surfen. Das heißt, statistisch bereinigt sind Angriffe auf Surfer viel häufiger als auf Schwimmer. Es wird angenommen, dass die Silhouette der Boards für Haie einem Beutetier (Robbe, Schildkröte) ähnelt. Das wäre besonders problematisch, da die beliebten Surfspots ohnehin oft in Regionen mit potenziell gefährlichen Haien wie Australien oder auch Hawaii liegen. Und dort suchen die Surfer gezielt die Brandungszonen auf, die auch von großen Haien wie Bullen-, Tiger- oder Weißen Haien zur Jagd bevorzugt werden. 

Tabelle 2: Aktivität der Opfer bei tödlichen Haittacken
Tabelle 2: Aktivität der Opfer bei tödlichen Haittacken
Weißer Hai (Foto: Hermanus Backpackers)
Weißer Hai (Foto: Hermanus Backpackers)

Wo bissen Haie am häufigsten zu? Zwei Länder als klare Spitzenreiter

Haiangriffe ereigneten sich zwischen 2020 und 2024 nahezu weltweit. Selbst in England und Kanada gab es einzelne Fälle (Tabelle 3). Doch zwei Länder stechen extrem heraus: So haben die USA 187 Haiunfälle in fünf Jahren zu verzeichnen. Das ist fast die Hälfte aller Attacken weltweit! Und allein 92 davon ereigneten sich in Florida. Natürlich heißt dies nicht, dass es in Florida am gefährlichsten ist. Zwar gibt es in den (sub-)tropischen Gewässern um Florida viele Haie und darunter mit dem Weißen, dem Tiger- und dem Bullenhai auch die drei potenziell gefährlichsten. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Florida das Bade- und Wassersportparadies der USA schlechthin ist. Hier gehen fast das ganze Jahr über Millionen Menschen ins Wasser. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu unschönen Begegnungen zwischen Mensch und Fisch kommt, schon rein statistisch deutlich größer als andernorts. Dass die USA auch bei den Todesfällen weit vorn liegen, ist bei der Vielzahl der Angriffe und der Anwesenheit der genannten Haiarten letztlich erwartbar.


Gruseliger sind die Zahlen aus Australien. Zwar sind dort nur halb so viele Angriffe dokumentiert wie in den USA, doch in dem einwohnerarmen Land gehen natürlich auch viel weniger Menschen ins Meer. Wieviele Angriffe wären es, wenn so viele Menschen ins Wasser gingen wie in Florida?

Was besonders auffällt: Trotz nur halb so vieler Angriffe wie in den USA, gibt es doppelt so viele Tote! In Down Under war jeder fünfte Angriff tödlich, in den USA nur jeder zwanzigste. Dass in den Staaten viel mehr Haiattacken glimpflich ausgehen, liegt wohl unter anderem daran, dass es sich oft um Unfälle mit kleinen, nicht aggressiven Haien wie Riff- oder Ammenhaien handelt, die man gerade in Florida beim Schwimmen oder Schnorcheln häufig antrifft. In Australien hingegen sind es bei den Angriffen in den meisten Fällen die viel gefährlicheren Weißen oder Bullenhaie. 

Tabelle 3: Tödliche und nicht-tödliche Haiattacken nach Ländern 2020 - 2024
Tabelle 3: Tödliche und nicht-tödliche Haiattacken nach Ländern 2020 - 2024

Fazit: Die wahre Gefahr im Wasser ist nicht der Hai

Die Zahlen zeigen es: Ja, es gibt jedes Jahr Haiangriffe. Und gewiss sind es durchaus mehr als in den internationalen Datenbanken dokumentiert sind. Und auch wenn die meisten Zwischenfälle glimpflich ausgehen, enden einige leider tödlich. Diesen im Schnitt etwa zwölf Toten pro Jahr stehen jedoch weltweit Millionen von Menschen gegenüber, die im Meer surfen, schwimmen, tauchen oder sich sonst wie vergnügen. Befindet man sich also nicht gerade an einem der absoluten Hotspots, geht die statistische Wahrscheinlichkeit einer Attacke sehr, sehr nah gegen Null. Das Risiko, von einem Hai verletzt oder gar getötet zu werden existiert zwar, wird aber in völlig irrationalem Maße überschätzt. 

Die wahre Gefahr, die im Wasser lauert:

Laut WHO ertrinken weltweit jedes Jahr mehr als 200.000 Menschen. Und die DLRG vermeldet allein für 2024 in Deutschland 411 ertrunkene Menschen!

 

DLRG-Boot (Foto: J. Kohler)
DLRG-Boot (Foto: J. Kohler)

*

Hier die Datengrundlage zum Artikel:

Es gibt zwei Institute, die weltweite Statistiken über Haiunfälle führen: zum einen das Florida Museum (USA) und zum anderen das Shark Research Institute in Princeton (USA). Die Zahlen dieser Institute stimmen nicht immer überein. Für diesen Artikel wurden die Daten des Shark Research Institute genutzt, da diese einfacher und detaillierter zugänglich sind. Hierfür ein großes Dankeschön! Die Datenbank dieses Institutes ist weltweit unter der Bezeichnung "Global Shark Attack File" (GSAF) bekannt.

Provozierte Haiangriffe sind im GSAF gesondert aufgeführt. Es handelt sich z. B. um Verletzungen beim Abhaken geangelter Haie, um fragwürdige Fütterungen oder um "Beutestreitigkeiten" beim Speerfischen. Solche Unfälle habe wurden hier natürlich nicht berücksichtigt. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden als "unbestätigt" oder "nicht glaubhaft" eingestufte Meldungen. Bezüglich der Opferzahlen ist aber auch zu bedenken, dass - insbesondere in Entwicklungsländern - längst nicht alle Haiangriffe gemeldet werden. Statistiken wie die hier verwendete können daher nie Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Vielmehr müssen wir von einer  Dunkelziffer ausgehen.

 

Comments


bottom of page